Netzwerk Medienstrukturen
Call for Abstracts
Workshop vom 23.10. – 24.10.2025
an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

„Epistemische Governance von Plattformen:
Ein Lösungsweg hin zu gemeinwohlorientierten Diskursräumen?“
Call for Abstracts
Das Netzwerk Medienstrukturen bietet eine länderübergreifende Plattform für Forschende, die sich mit Medienstrukturen und Medienorganisationen aus politischer, historischer, ökonomischer, rechtlicher oder soziologischer Perspektive befassen.
Information, Kommunikation, Meinungsbildung und Partizipation im digitalen Raum finden primär auf wenigen kommerziellen Social-Media-Plattformen statt. Der Zugang zu sowie die Interaktionen und die Wahrnehmung der Akteure in diesen privaten Räumen sind geprägt durch „regelsetzende, handlungsorientierende und meinungsbildende Strukturelemente“ (Dolata, 2018, S. 12), darunter die Entscheidungsarchitekturen, Algorithmen, Moderationspraktiken und Metriken der Plattformen. Allerdings verfolgen Social-Media-Plattformen kein eigenes, klar definiertes inhaltliches Vermittlungsinteresse, zur Qualität der präsentierten Inhalte und der Diskussionen verhalten sie sich „radikal indifferent“ (Zuboff, 2018, S. 580). Mehr noch, Anfang 2025 kündigte Meta an, Faktenchecker „loszuwerden“ und seine Moderationsbemühungen zu reduzieren, wie es bereits bei X der Fall ist. Dazu kommt, dass nicht-journalistische, neue epistemische Autoritäten nun einen einfacheren Zugang zu diversen Publika haben. Sie sind auf Social-Media-Plattformen nicht mehr auf journalistische Gatekeeper angewiesen, um für ihre Selbstdarstellungen hohe Reichweiten zu erzielen.
Dem weitgehend unregulierten direkten Zugang zu Plattformöffentlichkeiten und den kommerziell orientierten Plattform-Strukturelementen werden überwiegend negative Konsequenzen für die Qualität öffentlich verbreiteter Inhalte und Diskurse zugeschrieben (Jarren & Fischer, 2022; Seipp, 2023) – wobei die Forschungslage aufgrund des eingeschränkten oder blockierten Zugangs zu Plattformdaten lediglich fragmentarisch ist. Gegenwärtige Regulierung, in der EU allen voran der Digital Services Act und der Digital Markets Act, adressieren die damit verbundene Meinungsmacht von und die Diskursqualität auf Social-Media-Plattformen allenfalls mittelbar. Zudem besteht die Sorge, dass ihre Durchsetzung durch Aufsichtsbehörden – auch vor dem Hintergrund handelspolitischer Konflikte – nur halbherzig verläuft. Kritiker:innen befürchten u.a., dass Plattformen die Regelungen nur punktuell umsetzen werden. Auch bei der Umsetzung in den Nationalstaaten sind Hürden erwartbar.
Daher mehren sich die Rufe nach weitergehenden medienpolitischen Maßnahmen oder einer „epistemischen Governance“, deren Ziel es ist, die mediale Grundversorgung der Bevölkerung mit gesellschaftlich relevanten, wahrhaftigen Inhalten zu gewährleisten (Flew, 2024). Zentral ist dabei die Forderung, ein Gegengewicht zu privaten Plattformen zu etablieren. Gerade öffentlich-rechtliche Medien sind gefragt, als Pioniere zu agieren und ihre Mediatheken zu einer gemeinwohlorientierten digitalen Infrastruktur für die Vermittlung und Diskussion von Inhalten weiterzuentwickeln (Dogruel et al., 2025). Die Strukturelemente solcher Plattformen richten sich an gesellschaftliche Werte wie Transparenz, Teilhabe, Nachhaltigkeit, Datenschutz, Gerechtigkeit und Demokratie aus. Dementsprechend gab es in der jüngsten Vergangenheit mehrere Forschungsprojekte, die sich unter anderem innovativen KI-Interventionen für diskursive Integration oder gemeinwohlorientierter Software für öffentlich-rechtliche Medienplattformen widmeten. Und im sogenannten Public Spaces Incubator werden „innovative Bausteine für offene und respektvoll geführte Online-Diskussionen“ entwickelt und getestet.
Deutlich wird: Auf gemeinwohlorientierten Plattformen ruhen große Hoffnungen. Auch das Momentum für politische Unterstützung scheint gegeben zu sein, nicht zuletzt aufgrund von Bestrebungen nach digitaler Souveränität gegenüber der Macht US-amerikanischer und chinesischer Plattformen. Vor diesem Hintergrund sind Beiträge erwünscht, die sich mit Diagnosen der auf Social-Media-Plattformen vorhandenen inhaltlichen und diskursiven Qualität, der Aufsicht, gemeinwohlorientierten Alternativen und Infrastrukturen zur Erforschung von Social-Media-Plattformen als thematische Schwerpunkte auseinandersetzen.
Thematische Schwerpunkte
- Vermittlungsleistung epistemischer Akteure auf Social-Media-Plattformen
Social-Media-Plattformen haben zur Etablierung einer Vielzahl meinungsbildungsrelevanter Informationsquellen mit unterschiedlichen Motivationen und Professionalitätsgraden beigetragen. Dazu zählen bspw. Social-Media-Influencer, Politiker:innen, Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Medien. Sie alle streben danach, als epistemische Autorität wahrgenommen zu werden, also nach der Anerkennung von anderen, Realität definieren, beschreiben und erklären zu können. Einige dieser Akteure richten sich bei der Produktion und Verbreitung ihrer Inhalte nach journalistischen Logiken. Andere Angebote propagieren – verdeckt oder offen voreingenommen – bestimmte Interessen oder verbreiten vorsätzlich Falschinformationen und Hate Speech. Hier stellt sich also die Frage nach der Vermittlungsleistung neuer epistemischer Akteure auf Social-Media-Plattformen: Welche Maßstäbe kann man an die Inhalte dieser Akteure anlegen, welche Qualität liefern sie, und inwiefern tragen sie zu Verständigung und zur gesellschaftlichen (Des)Integration bei?
- Umsetzung und Bewertung bisheriger Plattformregulierung
Seit November 2022 ist der Digital Services Act in Kraft. Seine Regeln sollen ein vertrauenswürdiges Online-Umfeld gewährleisten, in dem die in der EU-Grundrechtecharta verankerten Grundrechte wirksam (bspw. jene auf die Meinungs- und Informationsfreiheit) geschützt sind. Der ebenfalls im November 2022 in Kraft getretene Digital Markets Act reguliert als Gatekeeper bezeichnete zentrale Plattformdienste. Der European Freedom Act wiederum, in Kraft seit Mai 2024, soll Medienpluralismus und -unabhängigkeit schützen. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang kritische Analysen und Erfahrungsberichte der (supra)nationalen Aufsichtsstruktur und -leistung im Hinblick auf die Gestaltung einer stärker gemeinwohlorientierten digitalen Öffentlichkeit. Wie effektiv und präzise tragen die im DSA definierten Trusted Flagger zur Bekämpfung illegaler Inhalte bei? Welche Erkenntnisse zur Konzentration im Medienbereich hat der EMFA hervorgebracht? Wie wird der Überwachungsmechanismus für Medienpluralismus ausgestaltet? Wie ist der Schutz von Mediendiensten vor der ungerechtfertigten Löschung von Inhalten durch sehr große Online-Plattformen zu bewerten? Wie reagieren die Plattformen und wie werden zentrale Transparenzvorgaben erfüllt?
- Gemeinwohlorientierte Plattformen
In Bezug auf gemeinwohlorientierte Plattformen stellen sich Fragen wie: Welche Rolle spielen Plattformarchitekturen und Moderationspraktiken für konstruktive oder destruktive Diskurse? Welche geografische Zielgruppe(n), welche Inhalte und welche Governance-Strukturen sollte eine gemeinwohlorientierte Plattform aufweisen? Welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen begünstigen oder behindern die Entwicklung und Akzeptanz gemeinwohlorientierter Plattformen? Welche geografische Reichweite sollten – Stichwort European Public Space – gemeinwohlorientierte Plattformen haben? Wie können gemeinwohlorientiere Plattformen dauerhaft finanziert werden? Welche Akteure und Frames sind in öffentlichen Diskursen über gemeinwohlorientierte Plattformen präsent, und welche nicht? Wie lässt sich Gemeinwohlorientierung in Entscheidungsarchitekturen, Algorithmen, Moderationspraktiken und Metriken konkret umsetzen und messen? Welche Funktionen kann KI in diesem Zusammenhang übernehmen – und welche nicht?
- Forschungsinfrastrukturen
Sowohl für die Evaluation bestehender Maßnahmen als auch für den Aufbau alternativer Diskursräume ist der Datenzugang für Forschende elementar. Der DSA ermöglicht „zugelassenen Forschern“ unter bestimmten Bedingungen nun einen Zugang zu Plattformdaten von sehr großen Online-Plattformen. Diese neue rechtliche Grundlage stellt einen Meilenstein für die empirische Plattformforschung dar – wirft jedoch zugleich neue Fragen auf: Welche methodischen Anforderungen oder praktischen Herausforderungen ergeben sich bei der Beantragung auf Datenzugang zur Erforschung der Qualität von öffentlicher Kommunikation auf Social-Media-Plattformen? Wie werden zentrale Vorgaben wie die Untersuchung „systemischer Risiken“ von den Plattformen interpretiert und in der Praxis umgesetzt? Welche Abhängigkeiten löst das Recht auf Datenzugang im DSA, welche schafft er? Inwiefern können bestehende oder geplante alternative Infrastrukturen Forschenden den Zugang zu Plattformdaten erleichtern?
Einreichungsmodalitäten und Workshopformat
Wir freuen uns über Einreichungen, die einen oder mehrere dieser Aspekte thematisieren. Dabei sind sowohl explorierende, konzeptionelle, empirisch prüfende als auch praxisorientierte Beiträge erwünscht. Willkommen sind explizit auch thematische Beiträge, die sich noch in der Entwicklung befinden und (neue) Thesen für die gemeinsame Diskussion bereithalten. Zur Einreichung von Beiträgen sind sowohl etablierte Forscher:innen als auch Nachwuchsforscher:innen (Doktorierende, Studierende) herzlich angesprochen.
Nebst Beiträgen zum Tagungsthema sind auch themenoffene Einreichungen möglich. Sollten Sie einen Beitrag oder ein Diskurs-Format planen, das einen anderen thematischen Schwerpunkt setzt, der für Mitglieder des Netzwerks interessant sein könnte, sind wir gerne bereit, dafür einen Raum/Zeit zu schaffen. Bitte reichen Sie Ihren Vorschlag ebenso in Einhaltung der Deadline und des Formats (Extended Abstract) mit ein. Wir versuchen dann, einen geeigneten Slot zu finden.
Erwartet werden Extended Abstracts im Umfang von etwa 500 bis 1000 Worten. Einreichungen werden bis zum 15. August 2025 erbeten und sind an pascal.schneiders@uni-mainz.de mit der Betreffzeile „Abstract NMS25“ zu senden. Die Beiträge werden in einem anonymisierten Verfahren geprüft. Wir bitten Sie daher, Ihr Abstract in anonymisierter Form einzureichen, d. h. mit einem gesonderten Deckblatt zu versehen, auf dem der Beitragstitel, Angaben zu Autor:innen sowie Kontaktdaten vermerkt sind. Achten Sie bitte auch darauf, dass in den Metadaten der übermittelten Datei keine Namen enthalten sind.
Bei Fragen zum Workshop stehen Ihnen Birgit Stark und Pascal Schneiders gerne zur Verfügung.
Wir freuen uns darauf, Sie bald in Mainz begrüßen zu können!
Kontakt & weitere Auskünfte
Veranstalter:
Arbeitsbereich Medienkonvergenz | Birgit Stark & Pascal Schneiders
Institut für Publizistik | Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Jakob-Welder-Weg 12
55128 Mainz
Kontakt: pascal.schneiders@uni-mainz.de
Netzwerkleitung
Leyla Dogruel: leyla.dogruel@uni-erfurt.de
Dirk Arnold: dirk.arnold@uni-leipzig.de